"Losfahren, um nach Hause zu kommen."

    Es fühlt sich komisch an, von dieser Reise nach Hause zu kommen. Sieben Tage lang habe ich kein Makeup getragen - jetzt passt die Farbe nicht mehr zu meiner neuerdings gebräunten Haut. Sieben Tage lang gehörte der Tag nur mir - jetzt gehört er Kunden, Rechnungen und Supermärkten für den Einkauf. Eine Woche lang war ich umgeben von wundervoller Natur - nun hat mich der Asphalt der Stadt zurück. Mir fehlen das Meer, der Sand im Bett, das liebevoll zubereitete Essen und die Rückbesinnung auf mich während der Yogastunden. Reisen ist Inspiration, sagen die Jungs von Driftwood-Travelling. Ich frage mich, ob das stimmt und was dann eigentlich nach Hause kommen ist.

     


    2.293 km waren wir im Bus von Hamburg nach Galizien unterwegs. Ich spüre jeden Knochen, mein Magen verdaut ein viel zu süßes Pudding-Croissant von einer spanischen Raststätte, meine Zähne kleben aufeinander. Guten Morgen! Zwei Nächte lang haben sich vier fremde Menschen abwechselnd eine Rückbank zum gelegentlichen Schlafen geteilt, eingestaucht zwischen Taschen, Surfbrettern und noch zu trocknender Wäsche. An diesem Freitagmorgen haben wir es geschafft. Angekommen in einer Region mit 75% Arbeitslosigkeit, dafür aber einer unglaublichen Dichte an Eukalyptusbäumen. Hier riecht es nach Australien, es sieht aus nach Brasilien, das zweite Frühstück schmeckt deutsch.

     

    Der Duden sagt, Inspiration ist ein schöpferischer Einfall, ein Gedanke bzw. eine plötzliche Erkenntnis. Vom Wortstamm her leitet sich Inspiration aus dem Lateinischen ab - inspiratio, also "Beseelung" oder Einhauchen von Spiritus "Leben, Seele, Geist". Als wir in Espasante ankommen, ist meinem Körper gefühlt nicht mehr viel Leben eingehaucht. Einige Stunden zuvor stand ich um 3 Uhr nachts alleine auf einem Parkplatz irgendwo in Spanien, rauchte eine Zigarette und hörte dem Schnarchen der LKW-Fahrer zu. Ich wollte schlafen, konnte aber nicht. Ich war am Ende. Nun lächele ich über den Moment und summe innerlich "Sultans of Swing" der Dire Straits, denn die Platte hatten wir seit Paris mindestens fünfmal gehört.

     

    Als sich mein Körper nach zwei Tagen erholt hat, wird er gleich wieder gefordert. Yoga steht auf dem Programm. Einatmen, Ausatmen, Schnappatmung. Meine Muskeln und Sehnen werden auseinander gezogen. Und je länger ich mich ziehe, umso stärker spüre ich mich. Und hoppla, meinen Kopf. Es packt mich auf sonderbare Weise. Ich muss weinen. Warum, kann ich gar nicht mehr sagen. Ich kann nur sagen, dass plötzlich eine warme Hand auf meinem Rücken liegt und mir eine fremde Träne auf den Arm tropft. Alleine mit unseren Gedanken sitzen wir da, zusammen mit uns. Zwei Leute, die erst einmal gemeinsam frühstückten. Später schreibe ich meinem Freund, dass mich dieser Moment beseelt hat.

     

    Und dann die erste Welle. Sie packt dich einfach, ob du willst oder nicht. Du paddelst, wirst zurück gezogen und nach vorne hin ausgespuckt. Du gerätst außer Kontrolle. Bremsen unmöglich, denken auch, einfach nur den Moment aufnehmen. Ich rutsche übers Wasser (ja, natürlich auf dem Bauch) und es ist ruhig. Einfach nur ruhig. Irgendwann falle ich vom Brett, was mir daraufhin um die Ohren fliegt. Nicht auftauchen ist wichtig, sondern die Hände über den Kopf nehmen. Für einen kurzen Moment bin ich benommen. Ich spüre die Kraft des Meeres, die Wucht der Naturgewalt. Dann spüre ich die Sucht. Mehr! Zurück ins Wasser! Jetzt gegen die Wellen! Anstrengend! Egal!

    Am Abend versammeln sich alle an der großen Tafel vor der Finca. Ausgehungert. Es gibt spanischen Bohneneintopf. Dem Essen hätte ich zu Hause nicht den Hauch einer Chance gegeben. Es ist die beste Suppe meines Lebens und ich sehe in den Gesichtern der Anderen: diese Erkenntnis teile ich nicht alleine. Und noch was spüre nicht nur ich. Sei es beim Wandern, Yoga oder Surfen. Hier passiert so viel und die Leute teilen ihre Gefühle miteinander. Denken über Vergangenes nach, hören zu und erzählen von ihren Einfällen und Erlebnissen. Das hier ist keine Reisegruppe. Das hier sind Fremde, die Freunde werden. Und Freundschaften begießt man mit Goldstoff-Rum. Wir feiern das Leben.

     

    Ja, diese Reise war Inspiration für mich, kein leeres Werbeversprechen, das angesagt und hipp klingt. Im Nachhausekommen merke ich, wie ein Geist in mir nachhallt. Der unbändige Wunsch, noch mehr erleben zu wollen. Die Kraft, die aus Muskelkater entsteht. Die tiefe Gelassenheit, die nur dann da ist, wenn man sich selber öffnet und den Geschichten der anderen lauschen kann. Und plötzlich kommt die Erkenntnis, dass jeder eine eigene Geschichte hat. In meinem Koffer war noch Sand. Ich habe ihn in mein Bett geschüttet.

     

    Text von Julia Kottkamp
    www.juliakottkamp.de

     

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    Kommentare: 4
    • #1

      Alex (Freitag, 27 Juni 2014 01:21)

      Julia, Treffer! Mega! Geil!

    • #2

      Julia (Freitag, 27 Juni 2014 16:42)

      Alex, danke! Freue! Mich!

    • #3

      felix (Mittwoch, 02 Juli 2014 13:49)

      Da packt mich doch gleich wieder das fernweh- sehr schöner bericht!

    • #4

      Steffi (Mittwoch, 02 Juli 2014 22:23)

      emotionale gänsehaut, gepaart mit fernweh. galicien, sligo, egal. einfach treffgenau.